Kommunikations-Design zwischen Reduktion und Opulenz

26.11.13, 9:21

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Am Anfang war das Design flach. Als das computergestützte Gestalten den Grafik-Designern neue Möglichkeiten bot, wurden die Entwürfe komplexer und waren mit Effekten wie einer simulierten 3-Dimensionalität durchsetzt. Daran sieht man, wie sehr Design auch von den technischen Gegebenheiten abhängt. Gestaltung und Design reagieren zudem auf Impulse von außen. In barocken überladenen Phasen gibt es eine gestalterische Gegenbewegung hin zu mehr Einfachheit. In kargen visuell eher spartanischen Zeiten, reagiert der Designer unter umständen mit grafischer Opulenz.

Die Grafik-Design-Software förderte neue Design-Stilistiken

Vor der Entwicklung der Grafikprogramme zu mächtigen Werkzeugen war ein Farbverlauf und selbst ein monochromer Verlauf nur sehr aufwendig in der Reprografie, fotografisch oder gemalt zu erstellen. Danach war es per Grafik-Applikation nur noch ein Knopfdruck. Designer waren fasziniert davon und ab da wurde die Welt des Grafik-Designs gerade in den 1980er- und 1990er-Jahren immer bunter und allerorts durchzogen von linearen oder radialen Verläufen.

Ein Beispiel für reduktionistisches Flat-Design: keine Verläufe, Schatten, Spiegelungen oder virtuelle Beleuchtung.

Ein Beispiel für reduktionistisches Flat-Design: keine Verläufe, Schatten, Spiegelungen oder virtuelle Beleuchtung.

Bildschirmfarben kontra Druckfarben auf Papier

Eine gewissen grafische Überladenheit machte sich in den Entwürfen breit. Das hatte auch mit dem Aufkommen des Internet zu tun, weil an hoch auflösenden Bildschirmen feinste Verläufe gut darstellbar wurden und nicht mehr nur das bedruckte Papier das Ausgabemedium war. Bildschirmfarben leuchten mehr, wirken brillanter. So kamen die grafischen Effekte besser zur Geltung als in der papiernen Vergangenheit.

Flat-Design-Flatrate: Weniger ist visuell mehr

Die Gegenbewegung war ein radikales Retro-Design, das sich auf Essentials besinnt und bei dem weniger mehr ist – ein Design der grafischen Konzentration auf einige wesentliche Stilmittel. Seit Längerem macht der Begriff des „Flat-Design“ die Runde, das im Moment neue Aktualität durch das User-Interface-Design von Apples iOS7 erhalten hat. Denn Apple, dessen Betriebssystem die Icons betont dreidimensional dargestellt hatte, ist nun schlichter. Weniger Dreidimensionalität, mehr „Flachheit“ ist das Motto, zurück zu den Wurzeln der Ursprünge des Grafik-Designs – also klarere Symbole ganz ohne Schnickschnack. Auch das Apple-Firmenlogo, das zuletzt mit Spieglungen versehen und silberfarben war, ist nun schlicht weiß oder schwarz, ohne Effekte. Wenn man bedenkt, dass die erste Version des Apple-Logos von 1976 mehrfarbig war, ein weiter Weg.

Ein Beispiel für 3-D-Design: Der Schriftzug simuliert durch Materialität, Beleuchtung und Schattenwurf eine Räumlichkeit.

Ein Beispiel für 3-D-Design: Der Schriftzug simuliert durch Materialität, Beleuchtung und Schattenwurf eine Räumlichkeit.

Apple als Trendsetter in Design-Fragen

Überhaupt hat Apple Trends gesetzt wie kaum ein anderes Unternehmen. Und das nicht nur bei der Gestaltung seiner Produkte, sondern auch beim Grafik-Design. Dabei kommt dem iPhone eine ganz besondere Rolle zu. Das iPhone bzw., sein Vorläufer, der iPod, haben weltweit das Interface-Design, also das Design der Benutzeroberflächen von Software, Applikationen, Betriebssystemen und Webseiten beeinflusst, ebenso auch das Print-Design. Das iPhone hat zum ersten Mal das Konzept der Apps eingeführt und deren Darstellung in einer dreidimensionalen Anmutung gelöst. Das war grundsätzlich zwar nicht neu aber da das iPhone ein weltumspannender Erfolg wurde und Vorbild für alle anderen Smartphones danach, war auch sein Einfluss als Impulsgeber für die Kommunikations-Designer der Welt immens.

Verläufe, Spiegelungen, Schatten: Die Elemente des 3-D-Grafik-Designs

Die eingesetzten Effekte bei dreidimensional anmutenden Icons, Logos oder sonstigen Symbolen beziehen sich immer auf eine Nachahmung von Visualitäten aus der realen Welt. Bestandteile der Darstellungsweisen auch von typografischer Gestaltung und Editorial-Design sind:

  • Verläufe
  • Dreidimensionalität,
  • Plastizität,
  • partielles Weichzeichnen
  • Spiegelungen,
  • Lichtwurf/Lichtreflexe und
  • Schatten.

Das Flat-Design ist durch folgende grafische Eigenschaften bestimmt:

  • Flächigkeit,
  • Reduktion der Farbvarianz,
  • Abstrahierung (Ikonozität)
  • Einsatz von Grundformen wie Kreis, Viereck oder Rechteck und
  • Wegfall jeglicher Darstellungs-Effekte.

Die Welt ist eine Scheibe: Flat-Design als konsequente Schnörkellosigkeit

Flat-Design verzichtet auf Schattierungen, Texturen, auf sonstiges Beiwerk wie Verzierungen oder weitere Detaillierungen und legt seinen Schwerpunkt auf schnörkellose Grundformen. Das Flat-Design hat zudem aktuell neues Futter durch das Interface-Design von Windows 8 erhalten. Auch das neue Google-Corporate-Design ist reduktionistischer geworden. Flat-Design als Ausgestaltung einer einfacheren Formensprache im Web bietet Flat-Design zudem kleinere Datenmengen bei Dateien und verkürzt damit Ladezeiten.

Die Nacht der lange Schatten: Longshadow-Design als neuer Trend

Die Darstellungen von grafischen Zeichen wird natürlich immer weiter variiert. Longshadow-Design, das die Schlagschatten erheblich verlängert und diesem Stilelement so mehr Dominanz einräumt, ist so eine aktuelle Ausformung.

Skeuomorphismus und Minimalismus als Design-Formen

Vieles, was im Grafik-Design durch Effekte erzeugt wird, ahmt im Grunde etwas nach, simuliert Materialitäten wie spiegelndes Glas oder eben tatsächliche Schalter und Knöpfe der wirklichen Welt durch die visuelle Dreidimensionalität von Buttons. Allein schon Verläufe, die im Web-Design oft zart hinterlegt sind, erzeugen durch die unterschwellige Simulation eines Lichteinfalls einen realistischen Eindruck. Auf die Spitze getrieben ist dieses Prinzip, wenn Oberflächen wie Holz, Metall oder natürliche Umgebungen wie florale Muster erzeugt werden. Man nennt dieses nachahmende Prinzip Skeuomorphismus, die Design-Richtung des Flat-Design ist dem Minimalismus zuzuordnen.

Trends: Dreidimensionalität und Flat-Design Hand in Hand

Oft wird apostrophiert, 3-D-Design also Dreidimensionalität simulierendes Kommunikations-Design, wäre tot, ein andermal, dass Flat-Design aus der Mode gekommen wäre. Tatsächlich existieren beide Darstellungsweisen nebeneinander her, selbst wenn aktuell das eine oder andere in der Öffentlichkeit Dominanz erhält. Wenn ganze Design-Systeme jedoch Dreidimensionalität zelebrieren, erschweren sie mitunter die Lesbarkeit und Klarheit, verwirren das Auge eher, als dass sie dem Leser oder Betrachter Orientierung geben. Deswegen werden komplexe grafische Elemente oft punktuell und nicht flächendeckend eingesetzt.

Werkbund und Bauhaus: Die Ureinflüsse des Flat-Design

Gerade in der Gründerzeit des deutschen und schweizerischen Grafik-Designs wurden strenge Maßstäbe angesetzt. In der Tradition der Gestaltungsschulen Deutscher Werkbund und Ulmer Bauhaus, bei dem stets weniger mehr war, neigte zu Klarheit und Einfachheit in der Gestaltung. Alles Beiwerk sollte weggelassen werden.Die alte Garde der Grafik-Design-Pioniere im deutschsprachigen Raum sah das Ziel des Designens in der oft spröden Informationsvermittlung. Kurt Weidemann zum Beispiel hatte dem Mercedes-Benz-Stern bei dessen Re-Design zwar eine gewisse Dreidimensionalität gegeben, die aber sehr reduziert nur aus Strichen bestand. Verläufe und sanfte Spiegelungen hätte er sicher abgelehnt. Die Räumlichkeit seiner Logoentwürfe entsprang immer noch einer zurückhaltenden Ökonomie der grafischen Mittel.

Die Gründerväter des deutschsprachigen Grafik-Designs

Die Vertreter dieser Design-Richtlinienkompetenz hatten jedoch ihre Hochphase zwischen den 1960er-Jahren und den 1980er-Jahren. Das waren zum Beispiel Koryphäen wie:

  • Josef Müller-Brockmann, der Spezialist für grafische Raster-Typographie.
  • Otl Aicher, der Erscheinungsbilder für Erco, die Lufthansa oder die Olypischen Spiele 1972 sowie die Schrift Rotis entworfen hat.
  • Kurt Weidemann, der Berater der Daimler-Holding und von Mercedes-Benz gewesen ist, für diesen Auftraggeber die Schriftfamilie „Corporate ASE“ entwickelt hat oder z.B. das neue Logo für die Deutsche Bahn.
  • Anton Stankowski, der auf der Trennlinie zwischen Design und Kunst gearbeitet hatte.
  • Günther Gerhard-Lange, der künstlerische Leiter von Deutschlands ehemals wichtigstem Schrifthersteller „Berthold“, dessen Schüler Erik Spiekermann später mit seinen Schriften „Meta“ und „Officina“ ein neues typografisches Denken in Deutschland anstoßen sollte und mit seinen Unternehmen „Fontshop“ und „Metadesign“ eine neue Formensprache etablierte, die Impulse gab und aufnahm.

Diese Gestalter standen für strikte Reduktion und Begrenzung der Mittel, heute würde man sagen: für Flat-Design. Allerdings waren damals auch die technischen Möglichkeiten stark begrenzt. Heute animiert und inspiriert die Software dazu, Effekte, die möglich sind, auch tatsächlich zu nutzen. Das verführt und inspiriert gleichermaßen.

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