Wie Wikipedia mehrere Millionen einsammelt

26.02.16, 12:38

Online-Kampagne

Wikipedia erklärt Millionen Menschen die Welt. Aufgrund professioneller Kampagnen­optimierung steht das nicht kommerzielle Online-Projekt auch ökonomisch gut da.

Wie Wikipedia mehrere Millionen einsammelt

(Quelle: Shutterstock.com/GongTo)

„Liebe Leserinnen und Leser: Verzeihen Sie die Störung“: Mit diesem Satz begann eine der erfolgreichsten Online-Kampagnen des letzten Jahres. Von Mitte November bis Ende Dezember 2015 schob sich ein Text-Banner über alle Artikel auf der deutschsprachigen Wikipedia. In ­wenigen Wochen kamen so mehr als acht Millionen Euro von Hunderttausenden deutschen Einzelspendern zusammen.

Die Einnahmen von Wikimedia Deutschland – dem Verein hinter der deutschen Ausgabe von Wikipedia – steigen seit Jahren verlässlich. Die Finanzierung läuft zu über 80 Prozent über eine jährliche große Spenden-Kampagne zum Jahresende. Für den Erfolg ist nicht nur die Popularität der großen Online-Enzyklopädie verantwortlich, sondern auch eine professionelle, datenbasierte Kampagnen-Optimierung, wie man sie auch von kommerziellen Online-Shops kennt. ­Dahinter steht ein siebenköpfiges Fundraising-Team.

Persönlich werden und auffallen, ohne zu stören

Basierend auf mehr als 100 A/B-Tests hat das Wikimedia-Team in den letzten Jahren ein stabiles Set an fünf Erfolgsfaktoren für Banner herauskristallisiert: Relevanz, Aufmerksamkeit, kurze Wege, niedrige Spendenhürden und ein scharfes Kam­pagnenprofil.

Für Relevanz soll eine direkte Anrede der Nutzer sorgen. Der Briefform nachempfunden, steht am Anfang des Banner-Texts eine Anrede und am Ende eine Dankesformel. Als förderlich hat sich zudem eine möglichst konkrete Bezugnahme auf den Nutzungszusammenhang erwiesen. Beispielsweise führte die Nennung des Landes („Jetzt sind Sie in Deutschland ­gefragt“) in A/B-Tests zu einer elfprozentigen Steigerung der wichtigsten Testmaßzahl: Spende pro Impression.

Eine wichtige Frage für die Fundraiser war die nach dem Zeitpunkt der Einblendung des Banners. Sie gingen von der Hypo­these aus, dass Leser erst dann empfänglich für die Spendenbotschaft sind, wenn sie die Suche nach Wissen abgeschlossen haben. Nach neun A/B-Tests stand der ­optimale Zeitpunkt fest: 7,5 Sekunden nach dem Laden der Seite. Damit die Botschaft nicht gleich wieder beim Scrollen verschwindet, wird sie an den Browser-Rand „geklebt“. Die Einführung einer solchen Sticky-Funktion ­führte zu ­einer massiven Spendensteigerung von 128 Prozent.

Kurze Wege, niedrige Hürden

Um das Spenden möglichst einfach zu machen, wurde das entsprechende Formular in das Banner integriert. In den Anfangsjahren der Kampagne mussten die Nutzer erst eine Klickstrecke absolvieren, um zu einer separaten Spendenseite zu kommen.

Heute lassen sich auf der rechten Seite des Banners wichtige Variablen wie Betrag oder Payment-Methode anklicken. Diese Integration von Funktionen führte zur einer Erhöhung der Spendenquote um 98 Prozent.
Als Hürde wurde auch die Unsicherheit über die „rich­tige“ Spendenhöhe ausgemacht. Deswegen werden sieben konkrete Beträge vorgeschlagen. Durch die bewusste Nennung eines Betrags von zwei Euro soll signalisiert werden, dass auch kleine Spenden willkommen sind. Ein animierter Ladebalken soll für weitere Orientierung sorgen. Das Spendenbarometer erfüllt nach Meinung des Fund­raising-Teams verschiedene Funktionen: Es generiert ­zusätzliche Aufmerksamkeit, erzeugt durch die Kommunikation des Spendenziels Transparenz und auch Handlungsdruck, da die fehlende Summe und die verbleibenden Tage konkret benannt werden.

8,6 Millionen Euro in 50 Tagen

„Die Banner-Erfolgsfaktoren sind ein Destillat unserer ­Arbeit seit einigen Jahren“, sagt Till Mletzko, Leiter der Fundraising-Abteilung von Wikimedia Deutschland. Das auf Basis der Faktoren optimierte schlichte Text-Banner zeigte 2015 Wirkung. Am 31. Dezember war das Spendenziel erreicht. 422.000 Leute hatten gespendet. Das Banner war pro Tag durchschnittlich sieben bis acht Millionen Mal eingeblendet worden. Bei dem Wert einer Spende pro Impression von 0,1 Prozent und einem durchschnittlichen Betrag von rund 20 Euro waren die angepeilten 8,6 Millionen Euro in 50 Tagen zusammengekommen.

Einen Teil des Geldes führt der Verein an die globale Wikimedia Foundation ab, die darüber hinaus auch eine eigene ­Kampagne durchführt. Dennoch bleibt noch genug übrig. Für 2016 ist ein Jahresbudget von 6,2 Millionen Euro vorgesehen. Zurzeit hat der Verein 81 Mitarbeiter. Andere Netz-Non-Profits können von solch soliden Einnahmen nur träumen. Chef-Fundraiser Mletzko ist trotzdem nicht ganz zufrieden. Optimiert werden kann schließlich immer: „Es spenden weitaus weniger als ein Prozent der Leserinnen und Leser. Angesichts der Tatsache, dass alle Wikipedia-Nutzer einen konkreten Mehrwert aus dem Projekt erhalten, ist meines Erachtens noch viel Luft nach oben.“

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