Yahoo: Pionier im Sinkflug

17.03.16, 12:15

Schwache Geschäfte, fehlende Strategie

Schwache Geschäfte, fehlende Strategie, Kündigungen: Yahoo steht zum Verkauf. Investoren scheinen nicht aufzutreiben zu sein. An einer Übernahme zeigen einige Unternehmen aber doch Interesse.

Yahoos Kantine in Sunnyvale

(Quelle: Yahoo)

Die Kantine an der 1st Avenue in ­Sunnyvale, wo Yahoo seinen Unternehmenscampus eingerichtet hat, wird sich wohl leeren: Nach schwachen Zahlen und millionenschweren Abschreibungen für den Kauf des Blog-Netzwerks Tumblr im vierten Quartal 2015 hat Yahoo-Chefin Marissa Mayer dem Internet-Unternehmen nun einen harten Sparkurs verordnet und Kündigungen für rund 9.000 Mitarbeiter (15 Prozent der Beschäftigten) angekündigt.

Das Unternehmen will sich von Patenten, Beteiligungen, Töchtern und Immobilien trennen. In Europa, Südamerika und im Nahen Osten wurden Niederlassungen geschlossen. Unterhaltungs- und Nachrichtenangebote werden aufgegeben: Ausverkauf bei Yahoo. Der Online-Medien- und Werbekonzern avanciert zum Objekt von Übernahmegerüchten. „Yahoo hat kein klares Geschäftsmodell und keine Mission“, bringt Patrick Boos, Partner der Digital-Beratung und -Agentur D-Group, die Kritik am Unternehmen auf den Punkt. „Während Wettbewerber wie Google oder Facebook Trends vorausahnen und innovativ bleiben, reagiert Yahoo lediglich auf Entwicklungen.“

Alibaba hat ein Auge auf Yahoo geworfen

Die einstige Internet-Ikone setzt zwar mit dem Betrieb von Portalen sowie mit der Vermarktung seiner Suchmaschine, von Anzeigen und Werbeplätzen immer noch mehrere Milliarden Dollar im Jahr um (2015 knapp fünf Milliarden) und erwirtschaftet damit eine knappe Milliarde Dollar Ertrag: Das Unternehmen ist nämlich noch mit 15 Prozent am chinesischen ­Internet- und E-Commerce-Konzern Alibaba sowie mit 35,5 Prozent an Yahoo J­apan, einem Joint Venture von Yahoo und Softbank, beteiligt. Und der Wert dieser Aktienpakete liegt zurzeit bei mehr als 30 Milliarden Dollar – dies entspricht damit in etwa der Börsenbewertung von Yahoo selbst. Für reine Investoren sind diese Geschäfte jedoch offensichtlich so gut wie nichts mehr wert. So gesehen führt Yahoo gerade vor, dass sich Milliardenbewertungen in der Digital-Branche schnell in nichts auflösen können.

Doch die Einschätzung trügt, Interesse an Yahoo ist durchaus vorhanden. Neben den Beteiligungs- und Sanierungsgesellschaften Bain Capital, KKR und TPG sollen sich vier weitere Unternehmen um Yahoos Kerngeschäft bemühen: Neben dem Magazin-Verlag Time beäugen die Telekommunikations-Spezialisten Verizon und AT&T das Internet-Urgestein. Nicht ­zuletzt wird sich Alibaba seinen Großak­tionär genauer anschauen: Er bietet viele Möglichkeiten, amerikanische Märkte zu ­entern, auf denen Alibaba bisher kaum vertreten ist.

Versteckte Werte: Reichweite & Technik

Yahoos Geschäft ist insbesondere strategisch von Wert und wird von Branchenkennern auf fünf bis sechs Milliarden Dollar geschätzt. „Wer clever ist, kann Yahoo als Start für weitere Werbeaktivitäten nutzen“, sagt John Won, Geschäftsführer von Hyperstop, einer US-amerikanischen Beratung für mobile Werbung.

Yahoos innere Werte heißen Reichweite und Technik:

Mit Nachrichten, Unterhaltungs- und Mail-Angeboten erreicht Yahoo weltweit eine Milliarde Menschen pro Monat. Laut Comscore wurden im Januar 2016 die US-Seiten von Yahoo mehr als zwei Milliarden Mal besucht.

Mit Brightroll, Flurry und Yahoo Gemini bietet Yahoo führende Technologien zur Verbreitung, Vermarktung und zur Analyse von Werbung, insbesondere von mobilen und Video-Anzeigen an. Mit Video-Anzeigen erreicht Yahoo laut Comscore in den USA bereits 32 Prozent der Internet-Nutzer, Google indes nur 31, AOL jedoch mehr als 40 Prozent.

Bisher konnte Yahoo diese Stärken aber nicht versilbern. Auf den Wachstumsbereich Video- und mobile Werbung entfielen 2015 lediglich 28 Prozent des Umsatzes. Der Großteil der Einnahmen kam aus der Vermarktung von Display-Anzeigen auf Portalen und Nachrichtenseiten. Hier aber verfallen die Preise. Auch aus dem Blog-Netzwerk Tumblr – für 1,1 Milliarden US-Dollar der bisher größte Zukauf des Unternehmens – und aus dem Mail-Dienst entstehen keine neuen Geschäfte. Das Portal-Modell, so wie es Yahoo betreibt, erscheint in Zeiten von WhatsApp und Instagram oder Facebook antiquiert.

„Die Luft ist raus“

Im Gegenzug haben sich 2015 die Kosten der Reichweitenvermarktung vervierfacht, zudem sank bei Yahoo die Produktivität: Im dritten Quartal stand jeder der knapp 11.000 Beschäftigten für rund 345.000 Dollar Umsatz; bei der Google-Mutter Alphabet erlösen die Mitarbeiter indes 895.000 und bei Facebook gar eine Million Dollar. „Das Unternehmen wird sich aus eigener Kraft nicht mehr substanziell weiterentwickeln können“, glaubt ­D-Group-Berater Boos. „Seit dem Abgang von Gründer Jerry Wang 2008 haben sich mehrere Manager an Yahoo abgearbeitet, die Luft ist raus.“

Marissa Mayer, die Vorzeigefrau, die 2012 von Google zu Yahoo kam und sich nach Carol Bartz, Tim Morse, Ross Levinsohn und Scott Thompson am längsten auf dem Chefsessel halten konnte, ist angezählt. Sie hat in den letzten Jahren mehr als drei Milliarden Dollar ausgegeben; nicht jede Übernahme zahlte sich aus – Tumblr gilt als der bekannteste Fehlkauf. Doch Mayer verantwortet auch die werthaltigsten ­Zukäufe sowie die Fokussierung und Weiterentwicklung der Werbetechnik. Allerdings konnte sie ihre Ziele weder Anlegern und Kunden noch Mitarbeitern nahebringen. Eine Zukunftsstrategie blieb aus.

Ein neuer Gigant für Video-Werbung

Bleibt die Frage, wer der vielen Interessenten die Reichweite und die Spitzentechnologie künftig vermarkten und nutzen kann: „Eine Übernahme durch den Time-Konzern wäre für beide Seiten sinnvoll, die durch Verizon scheint am realistischsten“, urteilt Boos.

Time brächte die Premiuminhalte von Magazinen wie „Sports Illustrated“, „Fortune“, „Money“ oder „People“ ein, mit ­denen sich die gut frequentierten Nachrichtenseiten und Reichweiten von Yahoo veredeln ließen. Umgekehrt verlängert Yahoo das Verlagsgeschäft nachhaltig ins Internet. Für die Vermarktung von Video-Werbung dürfte außerdem die Verbindung zu den Filminhalten von Time-Schwester Warner interessant sein. Aber Time schreibt rote Zahlen und wird sich den Kauf von Yahoo kaum leisten können.

Interessanter für Werbungtreibende dürfte indes eine Yahoo-Übernahme durch Verizon sein. Der Konzern sucht nach neuen Geschäften, weil die Zahl der ­Mobilfunkberträge stagniert, und verfügt über fünf Milliarden Dollar Bargeld. Vor allem aber hat er 2015 für 4,4 Milliarden Dollar AOL übernommen. Dessen Vorstandschef Tim Armstrong hat die Werbetechnologien der Gesellschaft so ausgebaut, dass sie es leicht mit denen von Facebook und Google aufnehmen können.

AOL und Yahoo erreichen in den USA 70 Prozent der User

Im Wachstumsbereich Video-Anzeigen würde nach der Integration von Yahoo, Brightroll und Flurry ein Anbieter entstehen, der Google hinter sich lässt: In den USA erreichen AOL und Yahoo gemeinsam mehr als 70 Prozent der Online-­Nutzer. Selbst nach der Beseitigung von Überschneidungen wäre mit einem komfortablen Abstand zu Google zu rechnen. „Es klingt oft so, als könne man Portal- und Inhaltegeschäft von den Werbetechnologien trennen“, sagt Werbespezialist Won, „ein Fehler: Beides hängt unmittelbar zusammen und voneinander ab.“

Allzu lange können sich Yahoo und ­seine potenziellen Käufer nicht auf dem Vorsprung im Bereich Werbetechnologie ausruhen: Soll sich die Kantine in Sunnyvale nicht vollständig leeren, ist Eile geboten. Die Konkurrenz schläft nicht, und letztlich hat Yahoo wenig zu bieten, was andere nicht auch könnten.

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